Das Fortune-Magazin vom März 2019 enthält einen Sonderbericht über die „Design Revolution„. Die zentrale Botschaft des Hauptautors Tim Brown ist, dass Design Thinking nicht nur eine kreative, designorientierte Problemlösungsmethode für den innovativen Umgang mit geschäftlichen Herausforderungen ist, sondern dass es auch als Blaupause für alle gesellschaftlichen Herausforderungen unserer Zeit im Allgemeinen angewendet werden kann. Tim Brown ist Präsident und Chief Executive Officer des globalen Designunternehmens IDEO mit Sitz im Silicon Valley. Mit seinem 2009 erschienenen Buch „Change by Design“ hat er maßgeblich zur Verbreitung des Design Thinking beigetragen.

Design Thinking hat sich inzwischen auch in der Gründungsförderung und bei Start-ups etabliert, die die Methode oft als Beratungsleistung im Gründungsprozess kennenlernen und später häufig nutzen. Mittlerweile gibt es auch weltweit eine Vielzahl von universitären oder hochschulischen Design Thinking-Angeboten, so auch hier an der Universität Koblenz-Landau. Vor etwa zehn Jahren habe ich die School of Entrepreneurial Design Thinking® am Campus Koblenz gegründet.
Aber woher kommt das Design Thinking? Und was ist die Geschichte hinter dieser spannenden Methode? Design Thinking leitet uns dazu an, Problemlösungen wie Designer anzugehen. Design umfasst eine Vielzahl von Perspektiven auf den Prozess und das Ergebnis von Design. Es geht um das äußere Design, aber auch um die (internen) Erwartungen an die Funktionalität und Nutzbarkeit, sowohl von hergestellten Produkten als auch von Dienstleistungen. Grundsätzlich besteht Design immer aus zwei Phasen: einer analytischen Phase, deren Schwerpunkt auf dem Suchen und Verstehen, dem Finden und Entdecken liegt, und einer synthetisierenden Phase, die im Wesentlichen aus Experimentieren, Erfinden, Innovieren sowie Herstellen und Produzieren besteht.
Im Sinne eines kleinsten gemeinsamen Nenners können drei wesentliche Bausteine des Design Thinking identifiziert werden: handlungsleitende Prinzipien; der Design Thinking-Prozess; die physische Arbeitsumgebung.
Im Mittelpunkt der Handlungsorientierung stehen zunächst die Nutzer oder Kunden. Hier geht es darum, sich ihnen möglichst vorurteilsfrei und empathisch zu nähern, zum Beispiel durch den Einsatz von Empathiekarten oder Personas oder durch das Erleben und Befragen der Zielgruppe in ihrem Arbeits- oder Lebensumfeld. Die Hinterfragung der geäußerten Probleme ist ein zweiter wichtiger handlungsleitender Grundsatz. Denn erst muss ein Bedarf erkannt werden, um lösungsorientiert am richtigen Problem arbeiten zu können. Perspektivwechsel helfen dabei, das eigentliche Problem zu erkennen und zu erfassen. Ein dritter Grundsatz ist die multidisziplinäre Zusammenarbeit. Dies erfordert Offenheit für unterschiedliche Fachkenntnisse, Sprachen und Ansätze, die Fähigkeit, Unklarheiten offenzulegen und zu klären sowie konstruktive, integrative Lösungen für Konflikte zu finden. Ein vierter Grundsatz ist der des Experimentierens. Der spielerische Umgang mit neuen Ideen und Lösungen, ein schrittweises Vorgehen sowie das Ausprobieren, Überprüfen, Anpassen oder Verwerfen stehen für die besondere Wissens- und Lernkultur hinter diesem Prinzip. Das fünfte und letzte Prinzip unterstreicht die Notwendigkeit der Veranschaulichung oder Visualisierung. Das Sichtbar- bzw. Anfassbarmachen von Dingen geht mit einer entsprechenden Explikation von implizitem Wissen einher, das notwendig ist, um Ideen und Konzepte kommunizieren zu können.
Der Design-Thinking-Prozess ist trotz aller Unterschiede in der Anzahl und Bezeichnung der Prozessschritte in den verschiedenen Modellen immer mehrphasig, iterativ und lässt Rücksprünge und Schleifen zu. Die klassischen Phasen sind Verstehen, Beobachten, Perspektive definieren, Ideen finden, Prototypen entwickeln und Testen. Während die ersten drei Phasen eher auf der Denk- und Arbeitsmethode des Divergierens beruhen, konzentrieren sich die übrigen drei Phasen auf das Konvergieren. Im Entrepreneurial Design Thinking®, das wir an der ED School der Universität Koblenz-Landau praktizieren, kommt am Ende explizit die Phase der Geschäftsmodellierung hinzu. Die Hinterfragung der erarbeiteten Lösungen im Hinblick auf Kundensegmente, Mehrwerte, Beziehungen, Umsatzpotenziale, Kosten, Prozesse und Partnerschaften wird bewusst am Ende durchgeführt, um die für Innovationen notwendige Kreativität nicht zu früh zu beeinträchtigen. Dennoch kann das Ergebnis der Business Modeling Phase dazu führen, dass der gesamte Prozess erneut durchlaufen wird.
Der dritte generische Baustein des Design Thinking ist die physische Arbeitsumgebung. Diese sollte offen und flexibel, aber auch vielseitig und anregend sein. Dies kann insbesondere die Kreativität in der Teamarbeit fördern, wie unsere eigenen Forschungsstudien der ED School (siehe oben) am Campus Koblenz der Universität Koblenz-Landau gezeigt haben.
An der ED-School haben wir den Begriff „Entrepreneurial Design Thinking®“ gewählt, um die Relevanz von Design Thinking für das Unternehmertum (und umgekehrt) in Wissenschaft und Praxis zu reflektieren. Dabei geht es um die bewusste und explizite Berücksichtigung von Geschäftsmöglichkeiten für Designlösungen (siehe oben). Unternehmer werden so auch zu Designern und umgekehrt. Die beste Voraussetzung auf dem Weg zur innovativen designorientierten Zielerreichung.
Die Anwendung der Entrepreneurial Design Thinking®-Methode hat den Vorteil eines geführten Fortschritts auf dem Weg zur Gründung eines Unternehmens: Der Prozess wird systematisch durchlaufen, oft mehrmals, und die (Zwischen-)Ergebnisse sollten dem Realitätscheck standhalten, insbesondere an der Schnittstelle zu den zukünftigen Kunden. Schließlich sind es gerade sie, die als Mitgestalter innovativer Geschäftsmodelle die Realität der Bedürfnisse und Mehrwertlösungen einbringen. An der Universität Koblenz-Landau, Campus Koblenz, kann Entrepreneurial Design Thinking® sowohl in den managementorientierten Studiengängen des Fachbereichs Informatik als auch im Studiengang Master of Business Administration (MBA) des Zentrums für Fernstudien und Universitäre Weiterbildung (ZFUW) erlernt werden.
Autor: Prof. Dr. Harald von Korflesch, Universität Koblenz-Landau; Copyright Bilder: Universität Koblenz-Landau
Der Projektpartner Universität Koblenz-Landau bietet im November einen zweiteiligen virtuellen Design Thinking (DT) Workshop für Startups und Gründungsinteressierte an. Geleitet wird er von der DT-Expertin Dr. Isabel Creuznacher, ehemalige Mitarbeiterin am ZIFET der Universität Koblenz-Landau und seit 12 Jahren Trainerin für große Unternehmen weltweit.

Isabel, was fasziniert Sie heute noch am Design Thinking?
Für mich ist Design Thinking eine Denkweise, und deshalb beeinflusst es meine Art zu denken, zu handeln und zu leben, wenn ich ehrlich sein darf. Ich beschäftige mich seit 12 Jahren damit und habe vor allem erkannt, dass das, was ich für die normale Art zu denken und Probleme anzugehen hielt, tatsächlich nur die Art des Design Thinking ist. Seit einem Jahr arbeite ich eng mit Nicht-DT-Kolleg*innen zusammen, und dadurch habe ich viele Situationen erlebt, in denen ich für das, was ich gerade vorgeschlagen habe, Anerkennung bekam, während es für mich seltsam war, dass niemand sonst dies sagte, weil es die „normale Art und Weise, Dinge zu tun“ war.
Wenn Sie mich also fragen, was mich fasziniert, dann ist es die Tatsache, dass ich damit Geld verdiene, aber gleichzeitig auch glücklicher leben kann: Warum? Weil ein Design Thinker zu sein bedeutet, sich für das Verhalten anderer Menschen zu interessieren und von ihnen zu lernen – ohne sie zu bewerten! Es ist also immer die Neugier, herauszufinden, warum Menschen so sind, wie sie sind, oder warum Dinge und Prozesse oder Arbeitsregeln so sind, wie sie sind. Es ist eine endlose und tägliche Entdeckung von Dingen. Und dann geht es natürlich darum, Dinge auszuprobieren; und wenn sie nicht funktionieren, dann ist das kein Misserfolg, sondern es hat einfach nicht geklappt. Versuchen Sie es besser, versuchen Sie es weiter!
Haben Sie während Ihrer Coaching-Karriere eine Innovation mit einer Gruppe erlebt, die Sie besonders beeindruckt hat?
Ich möchte hier zwei verschiedene Dinge erwähnen:
Das eine war ein Studierendenprojekt von Designer*innen. Sie setzten sich mit dem Problem auseinander, dass Künstler*innen nie die Möglichkeit haben, Kunst zu zeigen – es sei denn, sie haben eine(n) große(n) Sponsor*in oder können sich eine Galerie oder Ausstellung leisten. Also entwickelten sie einen „Automaten“, den es seit 10 Jahren im Münchner Hauptbahnhof, am Flughafen und am Marienplatz gibt: Künstler*innen können ihre Produkte und sich selbst (Produkte sind mit einer Plattform verbunden) für bis zu 30 Euro verkaufen. Sehr hilfreich!
Das andere war ein Kundenprojekt in der biochemischen Industrie: sie haben 7 Jahre lang geforscht, um einen Prozess zur DNA-Extraktion zu automatisieren. Das Projekt war ein reines „Designprojekt“: Wie würde die Maschine aussehen, die dann in den Labors der verschiedenen Zielgruppen stehen würde…. Das Projekt wurde gestoppt, als wir in unseren Interviews herausfanden, dass keiner der Endnutzer*innen diesen Prozess automatisieren wollte!!! Es gab Vertrauensprobleme etc. etc. Das Projekt wurde also gestoppt, aber in der Folge hat das gesamte Unternehmen nun Sensibilisierungssitzungen und den Grundsatz eingeführt, dass man sich an den Kunden wendet, bevor ein Forschungsprojekt bewilligt wird.
Warum sollten Gründer*innen und Gründungsinteressierte an Ihrem Workshop teilnehmen?
Ich denke, die Teilnahme am Workshop kann ein Weg sein, um herauszufinden, worum es beim Design Thinking geht. Und es könnte ein guter Anfang sein, um zu erfahren, wie man seine Einstellung ändern kann, indem man sich nicht mehr auf seine eigenen Ideen konzentriert und seine eigene Meinung als die wichtigste ansieht, sondern sich ausschließlich dafür interessiert, was die Nutzer*innen und die beteiligten Interessengruppen denken. Sich tief in die Menschen hineinzuversetzen und alles, was Sie tun, auf ihre Bedürfnisse auszurichten – nicht auf Ihr eigenes Ego.
Autor: Kerstin Theilmann / Dr. Isabel Creuznacher, Copyright Bild: Dr. Isabel Creuznacher
Design Thinking Workshop
- Datum: 19. Nov. 2021 (9:00-13:00) & 22. Nov. 2021 (14:00 bis 18:00)
- Ort: Zoom-Meeting
- Registrierung: Klicken Sie hier
- Mehr Informationen: Klicken Sie hier